Johanna Diehl
Johanna Diehl setzt sich ihren Fotoserien und Filmen mit der Identität des heutigen Europas auseinander. Sie erforscht Leerstellen des kollektiven kulturellen Gedächtnisses, überschriebene Erinnerungen und die „Anwesenheit des Abwesenden“.
Johanna Diehl (geboren 1977 in Hamburg/DE) absolvierte von 2000 bis 2007 ein Studium der Bildenden Kunst/Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) Leipzig und an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris. Von 2010 bis 2012 war sie zudem Meisterschülerin an der HGB. Ihre Arbeit entsteht aus der Idee heraus, dass die Wahrheit in den „Falten der Erinnerung“ steckt. Diehl erforscht die dunklen und vernachlässigten Leerstellen unseres kollektiven kulturellen Gedächtnisses. Sie setzt sich mit Formen des Überschreibens von Erinnerungen und der Anwesenheit des Abwesenden auseinander und befasst sich anhand gebauter Räume und privater Archive mit der Identität des heutigen Europas. In ihren Fotoserien und Filmen stellt sie Fragen zu Konflikten und Identität in der jüngsten europäischen Geschichte. Mit fotografischen Mitteln lotet sie Möglichkeiten aus, um Geschichte nicht nur zu dokumentieren, sondern auch neu zu schreiben. Seit 2019 ist Diehl Professorin für Fotografie an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg. Diehl lebt und arbeitet in Berlin/DE.
Diehls Arbeiten wurden unter anderem an folgenden Orten ausgestellt: Felix Nussbaum Haus, Osnabrück/DE (2020); Kunsthalle Göppingen, Göppingen/DE (2020); Haus am Waldsee, Berlin/DE (2019–2020); Mitte Museum, Berlin/DE (2019–2020); Bucerius Kunst Forum, Hamburg/DE (2019); UB Anderson Gallery, Buffalo/US (2019); Deichtorhallen, Haus der Photographie, Hamburg/DE (2019); Kaunas Biennale, Kaunas/LT (2019); ZKM – Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe/DE (2018–2019); Guardini Stiftung, Berlin/DE (2018); Akademie der Künste, Berlin/DE (2017); Villa Massimo, Rom/IT (2016); Pinakothek der Moderne, München/DE (2016); Kunstverein Oldenburg, Oldenburg/DE (2015).
Nachfolgende Arbeiten der Künstlerin werden in der Ausstellung EVROVIZION.CROSSING STORIES AND SPACES gezeigt:
Braclav, aus der Ukraine-Serie, C-Print, Farbe, 126 cm x 159 cm, 2013.
© Johanna Diehl
Johanna Diehls fotografische Arbeit Braclav ist Teil der Ukraine-Serie (2013–2015). Die Serie dokumentiert das Erscheinungsbild früherer Synagogen in der heutigen Ukraine. Der 1941 an der jüdischen Bevölkerung durch die deutsche Besatzungsmacht verübte Genozid führte zu der Zerstörung jüdischer Gemeinden. Unter der kommunistischen Herrschaft der Sowjetunion kam es in Folge zu einer säkularen Umfunktionierung ehemaliger Synagogen. Die sakralen Orte wurden unter anderem in Kinos, Sporthallen und Klubs umgewandelt, die teilweise bis heute bestehen oder aber, gleich Ruinen, keine Funktion mehr erfüllen. Diehl begibt sich in ihrer künstlerischen Praxis auf eine archäologische Spurensuche und visualisiert in ihren Arbeiten die sakralen Überreste der früheren religiösen Stätten. Die bei ihr zu sehenden architektonischen Räume reflektieren auf subtile Weise religiöse Enteignung und kulturelle Annexion. Leerstellen des kollektiven kulturellen Gedächtnisses werden erforscht, überschriebene Erinnerungen und die „Anwesenheit des Abwesenden“ werden sichtbar gemacht.
Souskiou, Cyprus (South), C-Print, kaschiert, gerahmt, 95 cm x 122 cm, Souskiou/CY 2009.
Karavas/Alsançak, Cyprus (North), C-Print, kaschiert, gerahmt, 95 cm x 122 cm, Karavas oder Alsançak/CY, 2009.
© Johanna Diehl
Johanna Diehls Werke Souskiou, Cyprus (South) und Karavas/Alsançak, Cyprus (North) sind Teil der Serie Displace (2009), die vor dem Hintergrund der 1974 erfolgten Teilung Zyperns entstand. Die Aufteilung der Insel in die Republik Zypern im Süden und die Türkische Republik Nordzypern hatte eine Zwangsumsiedlung der Bevölkerung zur Folge, um eine ethnische und territoriale Trennung zu gewährleisten. Johanna Diehls Fotografien dokumentieren die Konsequenzen dieser Teilung. Mit dem Titel der Serie beschreibt sie sowohl den Vorgang des Vertreibens als auch den Vorgang des Ersetzens. Souskiou, Cyprus (South) zeigt Überreste einer Moschee in einem verwaisten Raum im griechischen Teil der Insel. Bei Karavas/Alsançak, Cyprus (North) ist eine Kirche im türkischen Teil der Insel zu sehen, die zu einer Moschee umfunktioniert wurde. Auch wenn die kulturelle und religiöse Identität der ehemaligen Einwohner durch die jeweilige territoriale Aneignung verdrängt und überschrieben wurde, sind die Spuren der Vergangenheit nach wie vor sichtbar.
Die Arbeiten sind Teil der ifa-Kunstkollektion